Was taugen die Neuerungen im Salzburger Pflegegesetz?
Sozialstadträtin Andrea Brandner (im Bild links) und Sozialsprecherin Barbar Thöny präsentierten die SPÖ Position zum Entwurf des neuen Pflegegesetzes das Landes Salzburg (Foto: SPÖ)
Mit viel Verzögerung liegt nun das neue Pflegegesetz für Salzburg vor. Es soll das bestehende aus dem Jahr 2011 ablösen. Die Salzburger Landesregierung ließ sich lang Zeit, der Auftrag des Salzburger Landtags ein neues Gesetz zu erarbeiten erging am 5. Oktober 2022.
Der Wortlaut des einstimmigen Beschlusses:
„Die Landesregierung wird aufgefordert, einen partizipativen Gesetzwerdungsprozess für ein neues Salzburger Pflegegesetz, mit dem Ziel, die Qualitätssicherung in der Langzeitpflege zu verbessern, zu planen und ehestmöglich einzuleiten.“
Was bisher geschah
In Folge dieses Auftrages des Landtags leitete die damals zuständige Landeshauptmann-Stellvertreterin Martina Berthold, die Heinrich Schellhorn (beide GRÜNE) nach dem Senecura-Pflegeskandal nachfolgte, die Befragung ein. Mittels Online-Umfrage wurden die betroffenen Trägereinrichtungen in den Bereichen Seniorenwohnhäuser, Tageszentren und Mobile Dienste um ihre Einschätzung gebeten.
Unter Beteiligung von circa 50 Expert:innen sowie Sozial- und Gesundheitspolitiker:innen des Landes Salzburg wurden die Ergebnisse anschließend präsentiert. Es zeigte sich: Der Bedarf nach einer breiten und tiefgründigen Evaluierung des Salzburger Pflegegesetzes wurde Experten-seitig vielfach gewünscht. Die darauffolgenden Termine bestätigten dies in entsprechender Vertiefung - jedoch fanden diese zeitlich verkürzten Treffen nur in deutlich verkleinerten Runden statt und zahlreiche Themen blieben unberücksichtigt.
Dazu zählten unter anderem:
- Anbindung der Seniorenwohnhäuser an ELGA
- Verschlankung und Digitalisierung der Pflegedokumentation stationär sowie mobil
- Gründung einer Plattform zur Qualitätsweiterentwicklung (Land, Gemeinden, Träger)
- Möglichkeit für Innovationsprojekte
- Personelle Rahmenbedingungen
- Vergabe von SWH Plätzen gemeindeübergreifend – Steuerung durch Land – inkl. Kurzzeitpflegeplätze
- Leistungen anderer Professionen (Zahnarzt, Psychotherapie, Physiotherapie im Seniorenwohnhaus)
Dann kam LR Pewny (FPÖ)
Inzwischen ist eine Schwarz-Blaue Landesregierung im Amt und FPÖ-Landesrat Christian Pewny ressortzuständig. Ein Entwurf für eine Novelle des Pflegegesetztes liegt nun vor – ein Jahr später als von ihm angekündigt.
Die Ziele des Gesetzes seien „höhere Standards“, eine „transparentere Aufsicht“ und „klare Strukturen“, so Pewny. In Zusammenschau der nun vorliegenden Gesetzesnovelle kann festgestellt werden, dass diese Standards durch Umformulierungen sogar qualitative Verschlechterungen mit sich bringen können.
Änderungen vielfach nur redaktioneller Natur
Exemplarisch dafür ist, dass an über zehn Stellen des Gesetzes das Wort „Mindeststandards“ auf das Wort „Standards“ geändert wurde. Eine inhaltliche Änderung oder gar Verbesserung erfährt das Gesetz dadurch nicht. “Im Gegenteil, Mindeststandard impliziert, dass dieser nicht unterboten werden darf. Die Formulierung Standards lässt es hingegen zu, dass ein Unterbieten möglich ist“, so Barbara Thöny.
Für Pewny leben die Menschen immer noch in „Heimen“
Im Zuge dieser Änderungen wäre aus Sicht von Stadträtin Andrea Brandner auch die Anpassung des Begriffs „Heim“ angebracht. Diese altertümliche Bezeichnung aus längst vergangener Zeit ist für sie auch Ausdruck einer Sichtweise auf das Leben älterer Menschen in stationären Einrichtungen, die der heutigen Lebensrealität bei weitem nicht mehr entspricht. „Eine Weiterentwicklung der Qualität für Bewohner:innen von Seniorenwohnhäusern, Besucher:innen von Tageszentren und Kund:innen der Haushaltshilfe bzw. Hauskrankenpflege ist damit definitiv nicht erreicht“, so SPÖ-Sozialstadträtin Andrea Brandner.
4.000 Stimmen von Pflege-Petition ignoriert
SPÖ-Sozialsprecherin Barbara Thöny ergänzt: „Mit seiner Entscheidung, das Projekt des Community Nursing finanziell nicht zu unterstützen oder Pilotmodelle, wie eine Anstellung von pflegenden bzw. betreuenden An- und Zugehörigen abzulehnen, verschärft Landesrat Pewny (FPÖ) auch die Situation der Pflege daheim.“ 2024 ignorierte die Schwarz-Blaue Landesregierung mehr als 4.000 Stimmen aus der Salzburger Bevölkerung, die die Pflege-Petition der SPÖ mit ihrer Unterschrift unterstützten.
Bereits im Vorhinein Absage für Pflegeschlüssel
Lange gefordert wurden Konkretisierungen bezüglich der personellen Ausstattung wie etwa einem Pflegeschlüssel. Einem solchen hatte Landesrat Pewny schon vorab eine Absage erteilt. Was steht nun in der Gesetzesnovelle? Nur so viel: Es solle ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden sein, sodass alle Leistungen laut Pflegegesetz erbracht werden können. Konkretes gibt es in Sachen Personalausstattung nur in zwei Punkten: So sollen mit einer Übergangsfrist bis 2030 mindestens 60 Prozent des Personals eine abgeschlossene Ausbildung zur Heimhilfe haben. Und es soll in jedem Heim zumindest einmal am Tag eine Kraft des gehobenen Pflegedienstes anwesend sein. “In anderen Bundesländern ist ein Pflegepersonalschlüssel als Mindeststandard längst Alltag. Der vorliegende Salzburger Entwurf zum Pflegegesetz lässt nicht einmal eine Mindestbesetzung ableiten, geschweige denn, dass diese eingefordert werden kann“, kritisiert Thöny.
Schwammige Begriffsdefinitionen bergen Konfliktpotential
So finden sich zum Beispiel im § 2a des Entwurfes – neben den fachlich ohnehin außer Streit stehenden Begriffen – keine Begriffsbestimmungen für tatsächlich strittige Begriffe. Ein „modernes“ Gesetz sieht anders aus. Ein Beispiel ist der Begriff „zeitnah“ (zu finden im neuen § 3 (2)). Was unter dem Begriff „zeitnah“ zu verstehen ist, wird künftig im Ermessen der Träger und dessen Personal liegen oder wird wiederum im Rahmen von Aufsichtsbesuchen zu diskutieren sein. Ebenso fehlt eine Definition der Begriffe „tägliche Anwesenheit“ bzw. „Rufbereitschaft“, welche im § 18 (2) verwendet werden. „Unsere Experten befürchten dadurch zahlreiche Verfahren vor dem Salzburger Landesverwaltungsgericht, da aufgrund dieser unklaren und mehrdeutigen Gesetzesbegriffe unterschiedliche Interpretationen entstehen werden. Das ist so, als würde ich vorschreiben, dass man nicht zu schnell fahren darf, aber nicht konkretisiert, was ‚zu schnell‘ genau heißt“, führt die für die Seniorenwohnhäuser der Stadt zuständige Stadträtin Andrea Brandner aus.
Nicht weniger, sondern mehr Pflegedokumentation
Zur Pflegedokumentation gab es bereits im Frühjahr eine Mini-Novelle: Pewny ließ den Begriff Pflegedokumentation durch den Begriff Dokumentation ersetzen. Im nun vorliegenden Entwurf finden sich dazu nur wenig zusätzliche Erleichterungen. Im Gegenteil: Die neuen Bestimmungen führen nicht zu einer effizienteren Dokumentation, sondern gar zu einer Ausweitung. Ein Beispiel: Laut Entwurf muss die Ablehnung eines Vollbads durch eine/n Bewohner:in künftig genau dokumentiert werden.
Rechenbeispiel: Bei einem Seniorenwohnhaus mit 100 Bewohner:innen, bei einer Annahme von 30 Ablehnungen pro Kalenderwoche, bedeutet dies jährlich 1560 sinnlose Dokumentationseinträge.
„Selbstverständlich wird dies den Bewohner:innen in den städtischen Häusern aktuell auch regelmäßig angeboten, das ist für uns normaler Standard, es braucht dafür keine Vorgabe“, so Stadträtin Brandner, noch weiter geht: „Für mich ist diese Regelung eine reine Absicherung und Arbeitserleichterung für die Heimaufsicht, fachlich entbehrt sie jeglicher Grundlage und führt, wie oben dargelegt, zu einem Mehraufwand für das Pflegepersonal.“
Bürokratieabbau durch Digitalisierung
Die Einführung der Digitalisierung in der Pflege ist eine Empfehlung aus der Pflegeplattform, die das Land Salzburg bis heute nicht umgesetzt hat. Eine Digitalisierung der Dokumentation und Vernetzung der Programme bringt Bürokratieabbau und mehr Zeit für die Pflege. Mit einer einheitlichen Dokumentation hätte das Land den Vorteil, vom extramuralen Bereich tagesaktuelle Daten zu erhalten. Eine Anbindung des extramuralen Bereichs (Seniorenheime, mobile Dienste) an ELGA (Krankenhäuser sind bereits eingebunden) würde mehr Entlastung des medizinischen und pflegerischen Personals und mehr Sicherheit der Patient:innen bringen. „Die Finanzierung einer Digitalisierung der Pflege intra- und extramural durch das Land Salzburg wäre eine Investition in die Zukunft in der Pflege. Mitarbeiter:innen der Zukunft wollen Digitalisierung“, ist sich SPÖ-Sozialsprecherin im Landtag, Barbara Thöny, sicher.
Wo ist die Perspektive für die Zukunft?
Generell vermissen Barbara Thöny und Andrea Brandner – wie auch zahlreiche Expert:innen – die Innovationskraft des neuen Gesetzes.
Denn auch außerhalb der im Gesetz enthaltenen Dienstleistungen (Hauskrankenpflege, Haushaltshilfe, Tageszentren, Seniorenheime) findet sich im vorliegenden Entwurf kein gesetzlicher Rahmen für Innovationsprojekte, wie beispielsweise die so wichtige Angehörigenentlastung durch spezialisierte Kurzzeitpflegeeinrichtungen, Übergangspflege, Stärkung alternativer Wohnformen wie Mehrgenerationenwohnen oder digitale Innovationen.
Ein aktiver Umgang mit dem bevorstehenden Wandel (im Salzburger Landtag wurde jüngst von einer Steigerung von 50 % beim Bettenbedarf in stationären Einrichtungen bis zum Jahr 2035 gesprochen) im Rahmen von gesetzlichen Neuerungen wäre wünschenswert, ist aber nicht enthalten.
SPÖ-Sozialsprecherin Barbara Thöny: „Im Grunde brauchen wir drei Dinge in der Pflege: Eine ordentliche Finanzierung, ausreichend Fachkräfte und eine hinreichende Perspektive. All das vermisse ich im aktuellen Verordnungsentwurf. Denn die Prognosen für die Zukunft sehen nun mal so aus, dass wir bis zum Jahr 2040 eine Steigerung im Bereich der sog. ‚Hochaltrigen“ (Anm. Menschen über 85 Jahre) auf über 30 Prozent der Bevölkerung haben werden.“
SPÖ-Sozialstadträtin Andrea Brandner: „Als Fazit ist schlussendlich festzustellen, dass der Entwurf zur Novelle des Salzburger Pflegegesetzes zwar in eine richtige Richtung weist, indem er die Pflegequalität verbessern möchte, doch bleibt er in mehreren wichtigen Punkten weit hinter den Erwartungen zurück. Eine verbesserte Finanzierung, eine stärkere Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und eine praxisnahe Umsetzung auf kommunaler Ebene sind notwendig, um die Herausforderungen im Pflegebereich nachhaltig zu bewältigen. Ohne eine ausgewogene und ganzheitliche Strategie sowie Zukunftsperspektive läuft der Entwurf Gefahr, mehr bürokratische Hürden aufzubauen, anstatt tatsächlich zur Verbesserung der Pflege in Salzburg beizutragen. Dies hätte bei einer konsequenten Umsetzung eines partizipativen Prozesses wirksam verhindert werden können.“